Horizontale und Vertikale Tide

So, liebe Ärmelkanalfreunde, heute kommt mal wieder ein Lebenszeichen. Leider war ich viel in der Welt unterwegs und hatte die letzten Wochen wenig Zeit mich um den Blog zu kümmern. Heute nutze ich mal die heißen Temperaturen, bei denen man sich sowieso am besten zu Hause auf der Terrasse im Schatten aufhält, um euch weiter Infos über das Seegebiet zu geben.

Die letzte Aufgabe war natürlich etwas tricky, entspricht das Verhalten der Tide doch nicht dem normalen Menschenverstand. Die vertikale Tide (Steigen und Fallen des Wasserspiegels) und die horizontale Tide (Ebb- und Flutstrom) sind nicht synchron. Wenn man die beiden Kurven im letzten Blog anschaut, erkennt man, dass die Strömung nach Hoch- bzw. Niedrigwasser noch über eine Stunde „nachläuft“. D.h., obwohl die vertikale Tide schon gekentert ist, bleibt die Richtung der horizontalen Tide noch über eine Stunde gleich. Wenn wir uns z.B. den Samstag den 4.5. 2019 anschauen, haben wir um 13.40 Uhr Niedrigwasser (la basse mer)  und bis dahin Ebbe (le jusant). Entsprechend steht dann auch der Ebbstrom nach Westen, also aus dem Ärmelkanal hinaus, in Richtung Atlantik. Wir sehen aber auch, dass die Strömung erst kurz vor 15.00 Uhr kentert, während das Wasser zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder steigt und schon Fut herrscht (le flot). Der Flutström setzt also erst über eine Stunde nach Beginn der Flut ein.

Dieses Phänomen hat man insbesondere in Gebieten mit höheren Strömungsgeschwindigkeiten (z.B. im Ärmelkanal , La Manche), und weniger in Gebieten mit niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten, wie z.B. in der Südbretagne. In den Strömungsdiagrammen ist das „Überschwingen“ durch die unterschiedlichen Farben blau und rot dargestellt. Blau stellt die Flutzeit also steigendes Wasser (marée montante) und rot die Ebbzeiten also fallendes Wasser (marée descendante) dar. Da kann man die Phasenverschiebung von über einer Stunde gut sehen.

In der niederländischen Waddenzee wollten wir mal mit nem Plattbodenschiff von Harlingen nach Kornwerderzand segeln. Da es schwachwindig war, wollten wir den Ebbstrom nutzen, um uns zu unterstützen. Deshalb sind wir kurz nach Hochwasser aus dem Harlinger Vorhafen ausgelaufen und wollten uns gen SSW mit der Strömung schieben lassen. Die Überraschung war groß, dass uns der Strom aber in Richtung NNE trieb, und wir bei dem wenigen Wind nicht vorwärts kamen. Es ist nichts gravierendes passiert und nach einer Stunde hat sich die Strömungsrichtung dann geändert. Bei mir hat es sich jedoch in die Hirnwindungen gebrannt, dass man sich sorgfältig informieren sollte, ob es eine Phasenverschiebung zwischen der horizontalen und der vertikalen Tide gibt.

Wie ist dieses Phänomen zu erklären: in einem Buch über die Waddenzee schreibt die Autorin, dass das Wasser eine große Trägheit hat, und deshalb der Strom auch nach Hochwasser seine Richtung beibehält. Nach der 12tel Regel (siehe eine der vorhergehenden Blogbeiträge) fällt das Wasser ja in der ersten Stunde nur minimal. Das heißt, dass es in dieser Zeit nur wenig „Gefälle“ für den Flutstrom gibt. Die umkehrende Kraft ist gering und das Beharrungsvermögen der Wasserströmung lasst es in die alte Richtung weiterfließen. Erst wenn dann das Wasser in der 2. Stunde stärker fällt, ist das „Gefälle“ größer und damit auch die umkehrende Kraft. Die Strömung beginnt zu kentern und in die andere Richtung zu fließen. Entsprechendes gilt natürlich auch für das Niedrigwasser.

Ich bin mir nicht sicher ob das die alleinige Erklärung ist. Falls jemand noch weitere Ideen hat warum das so ist, wäre ich sehr dankbar.

Nun zur heutigen Aufgabe: Am 5.7. 2019 möchte der Skipper der X 46 Tempo mit einem Tiefgang von 2,5 m die Durchfahrt zwischen dem Festland und der Ile de Batz von Ost nach West passieren, um danach weiter nach Westen dem Ärmelkanal zu folgen. Die Durchfahrt ist ca. 3 sm lang

Snapshot_2019_06_30_144140

Die Durchfahrt ist sehr eng und manchmal flach, und im Revierhandbuch steht, dass es bei starker Strömung zu Verwirbelungen kommen kann. Eine Animation der Durchfahrt könnt ihr hier sehen:

[wpvideo UrsOmHGw]

 

Bis zum Eingang in den Kanal braucht die Tempo ca. 1 Stunde Fahrtzeit. Der Proviantmeister möchte noch Bier kaufen, da die Vorräte am letzten Abend doch sehr geschrumpft sind. Der Supermarkt im Dorf (ca. 30 min Fußmarsch) macht um 8.00 Uhr auf.

Wann sollte die Tempo Idealerweise am östlichen Eingang des Canal de Batz stehen und warum? Wie sollte denn der Zeitplan an diesem Morgen aussehen?

Bleibt uns gewogen, es sind nicht mal mehr 8 Wochen bis es losgeht…….

Euer Hägar


 

0 Gedanken zu „Horizontale und Vertikale Tide“

  1. Hochwasser ist um 8:27h mit 8:58m. Um 9:21 ist keine Strömung (0 Kn) im Zeitraum von ca 8:30 – 10:25h Strömung < 1 kn, dies wäre als der bevorzugte Zeitraum zum Passieren der Meerenge.
    Bei Länge von 3 sm rechnen ich mit einer Passagezeit von knapp einer Stunde, damit wäre der späteste Zeitpunkt am Beginn der Passage ca 9:30, besser schon früher (ca 8:30-9:00h)

    Mit 1 Stunde Anfahrt und wird es schon knapp, vielleicht den Bier Einkauf auf den kommenden Abend verschieben, oder
    direkt um 8h am Einkaufsladen stehen, dann wie der Wind mit dem Bier zum Schiff rennen und um 8:20h +++ (sofort) ablegen, dann schafft die Tempo es auf 9:30 am Kanaleingang.

    Bier abends kaufen oder Kneipe aufsuchen ist steßfreier.

    1. Hallo Bernd,
      vielen Dank für Deine tolle Erklärung und Erläuterung (ich verstehe zwar nicht warum Du 8:27 Uhr mit Hochwasser ansetzt, wo doch in der Darstellung 8:32 steht, aber vermutlich hängt das wieder mit den anderen Bezugspunkten zusammen). Aber es kommt auch nicht auf die paar Minuten an!
      Viel schlimmer ist der zur Neige gehende Biervorrat … ! Da muss gehandelt werden!
      Daher habe ich nach Lösungsmöglichkeiten recherchiert um auch diese Problem zu lösen. Der Supermarkt „Casino de Roscoff“ wäre nur rund 500 Meter vom Hafen Roscoff entfernt. Blöderweise macht der Laden aber erst um 10 Uhr auf. Dafür schließt er donnerstags (also noch am 04.Juli) erst nachts um 2 Uhr. Diese Ladenschlußzeiten sind in Frankreich nicht unüblich. Manche Supermärkte sind rund um die Uhr geöffnet.
      Daher ist Dein Ergebnis „Bier abends kaufen“ vielleicht auch noch in dem Hafen möglich in dem sich die „Tempo“ vor dem Ablegen befindet. Dann könnte die Zechermannschaft nach dem Gelage noch eine kleine Wanderung zum dortigen Supermarkt machen, wird dabei wieder nüchtern und könnte der Gefahr vorbeugen, dass das Bier am nächsten Tag ausgeht. Wer säuft muß halt auch noch nachts laufen!
      Gute Planung und eine Vorausberechnung der zu erwartenden Zeithorizonte lassen auch für so ein Problem eine Lösung finden :-)))

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